Bienale 2011 in Venedig.
Es fiel mir auf, wie die moderne Kunst in religiösen Strukturen gefangen ist. Den Höhepunkt bildet die
Installation von Schlingensief im Deutschen Pavillon. Von Ihm entworfen und nach seinem Tode von seiner
frau verwirklicht: Ein Kirchenraum, wie ihn jede alte katholische Kirche bietet. Ein Altar mit
symbolträchtigen Gegenständen, leider im Dunkeln nicht direkt erkennbar. Der gewohnte Respekt vor dem
„Heiligen“ erfasst auch hier den Besucher. Obwohl es keine Absperrung gibt, wagt man es nicht, den roten
Läufer der Altarstufen zu betreten. Andachtsvoll verfolgen die Besucher das „Triptychon“, drei laufende
Videos übert dem Altar.
An den Seitenwänden, wie Kreuzwegstationen, einzelne Szenen aus den Triptychon-Videos oder stehende
Bilder unseres Alltags: Gewalt, Krieg, Chaos. Eine Prozession in einem der letzten bayrischen Bergdörfer,
fast blasphemisch an Vodoo - Szenen erinnernd. Dazu die entsprechenden Geräusche, ja der Lärm des
Alltags.
Andere Installationen oder Ausstellungsgebäude scheinen die Reporter der Zeitungen nicht besucht zu
haben, die ich gelesen habe. Alles Alltagsschrott, als Polemik gegen unsere Zeit. Der Himmel ist eben leer,
ohne Gott, Götter, Geister und Teufel. Einen verheißungsvollen Trost bieten u.a. außerhalb des Geländes
vielleicht Darbietungen autoritärer Staaten. Wer in der säkularen demokratischen Welt angekommen ist,
sieht eben nur die Schattenseiten des von uns Menschen in Besitz genommenen Planeten.
Die Stimme Gottes oder der Götter ist verstummt, nun klagen Künstler die Zivilisation an. Nur bieten sie
kein tröstendes Paradies. Das finden wir dafür in der Welt der Reklame für den alltäglichen Konsum. Wer
dem Ruf in den Konsum folgt, füllt seine Kleiderschränke, hat den Stress im Urlaub oder eilt von einen
Event zum anderen.
Ein Massenevent ist die Bienale der Kunst in Venedig für den Massentourismus. Wer alles sehen will, findet
keine Vertiefung, nirgend Erbauung. Wer sich die Mühe macht, nach einem Rundgang durch das Arsenale
und die Gardini sowie die Vielen Lokalitäten in Venedig zu einem einzigen Kunstobjekt oder einer einzige
Installation zurück zu kehren, mag darin auch Anregung und Erbauung finden. Für Reporter wohl eine
Überforderung.
Ich habe S. Giorgio wiederholt besucht. In der Vierung eine große weiße Trommel. Vielleicht 5 m im
Durchmesser, 165 cm hoch. In Mitten eine Öffnung nach oben von ca. 30 cm Durchmesser, aus der Dampf
aufsteigt. Dieser wird verwirbelt von Ventilatoren, die vor den Säulen der Vierung zwischen sehr hohen
Doppelstelen gehalten werden. Aus diesen Doppelstelen pusten den Besucher bei der sommerlichen
Hitze je 12 Ventilatoren eine angenehme Erfrischung zu. Doch hin und wieder gesellt sich zu diesem
Getöse ein weiteres. Es ist eine Art Rüssel hoch oben im dem Gewölbe. Wenn dieser in Aktion tritt, saugt
es den unten austretenden Dampf wie eine Windhose nach oben. Eine Dame aus Franken fragt mich, was
das wohl soll. Ich erkläre es ihr: „Ascension“ sei doch der Titel der Ausstellung =“ Aufnahme“. Gott nimmt
das Opfer Abels an! Das von Kain lässt er unten verwirbeln. Ich muss ihr die Geschichte erzählen. Dazu
auch der Hinweis, dass Gott nicht ungerecht ist, sondern, dass er den Hirten Abel lieber habe als den
Ackerbauern Kain, der als „Kanaaniter“ dem Fruchtbarkeitskult huldigte. So kann der Besucher ohne
Bibelkenntnis oder die Kenntnis der Symbole anderer Religionen manches Kunstwerk nicht verstehen.
Zugleich empfinde ich solche Kunstwerke als Blasphemie: Das Heilige wird profanisiert.
{H-E.S. 9.9.11.}
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