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                                                                                                                                  Vom Beten.
Jeder, der noch regelmäßig betet, kann seinem Herrgott dankbar sein. Er hat einen Partner
gefunden, dem er sich täglich anvertrauen kann. - In seinem Tagesrückblick und den damit
verbundenen Danksagungen und Sorgen. - Es gibt keinen, der uns näher stehet, als unser in
uns beherbergter persönlicher  Gott.
Der  Gott der Religionen und Theologen ist oft befremdlich oder gar unglaubwürdig. Wer
aber von einem allgegenwärtigen Gott behaust wird, lebt mit ihm so vertraut, dass Anreden
oder Gebetshaltungen zweitrangig sind. Für ihn gehen Gebet und Nachdenken in einander
über. So ist das Gebet, das  aus dem Inneren kommt, ein Anstoß zum Nachdenken. Das
Gebet wird nur bei den Heiden als ein Hebel verstanden, der die Weltordnung aus den
Angeln heben soll. (Matthäus 6,7 )
Dieses  Gebet aus dem Herzen plappert nicht “wie die Heiden” formelhafte Texte, sei es in
einer Alltagssprache, sei es in lateinisch, griechisch, arabisch, als seien sie magische
Formeln. Auch bedarf es nicht eines Tempels, einer heiligen Stätte, es bedarf nur der Stille,
der Ungestörtheit, wie eine Stille Kammer, die Speisekammer. Die kennt Jesus nur als
abgeschlossenen dunklen verschlossenen Raum und er geht davon aus, dass man sich nicht
von den Gerüchen der Nahrungsmittel ablenken lässt, die man nicht naschen darf, weil sie
gemeinsames Gut der Familie sind.
Mit Jesus beten, heißt mit dem Herzen beten:  Vater  unser…….. 
In diesem Gebet, das Weltkulturgut ist, bietet sich ein Einstieg in das “Herzensgebet“, wenn
man mit seinen Gedanken jedes Wort innerlich aktualisiert und es nicht “plappernd
missbraucht” !
Gewiss ist der Vater-Begriff nicht bei jedem Menschen positiv besetzt, oder gar neutral
definiert. Jesus hatte offenbar einen liebevollen Vater, einen Vater, der für die Seinen sorgt
und sie nicht betrügt mit Steinen, Skorpionen oder mit Geheimnissen bedroht, die sexuellen
Missbrauch verdecken sollen.(Lukas 11,12.)
Für Jesus ist Gott als Vater uns sogar so nah, dass er schon vorher all unsere Gedanken,
Wünsche und Sorgen kennt, ehe wir sie aussprechen. Ja , es scheint Gott uns so nahe zu sein,
- in uns zu sein - , dass ER uns sagt, wo der Schuh drückt. (Matthäus 6,8.)
Das UNS im Vaterunser hat Mitmenschen im Blick: Die, mit denen ich gerade zusammen
bin, die, denen ich so persönlich begegnet bin, dass ich sie nicht vergessen kann. Das uns
drückt unsere Verbundenheit, ja unser aufeinander angewiesen sein aus.
Gott kommt mir in der Stille so nahe, das ich auf mein Handeln  zurückblicke und die eigene
Schuld  bei mir sehe, wie ich sie auch bei den anderen suche. Ich werde  im „Herzen“ dahin
geleitet, dass ich den Verlorenen nicht ganz in den Abgrund - die Hölle - stoße, sondern ihn
als  Familienmitglied  feierlich wieder an meiner Seite positioniere. ( Lukas 15, 11-32.)
Die Nähe Gottes in mir, seine Stimme, die  sich in mir hörbar machen will. Die innere
Stimme, oft als Gewissensbiss aufblitzend, soll ich nicht nur ernst nehmen, sie soll mir heilig
sein, so dass ich sie über alles respektiere.
Das Gebet, die Anregung zum Nachdenken, fordert meine intellektuelle Redlichkeit heraus.
Sollte ich  die Welt des Glaubens von der Welt des Wissens trennen, verfiele ich in 
Scheinheiligkeit, ja in Schauspielerei vor mir und meiner “Gemeinde”.
Das “Herzensgebet” ist wie ein Blick in den Spiegel! Wie sehe ich aus? Wer hält seinem
Spiegelbild stand, ohne zu erschrecken, ohne nach dem Kamm, dem Rasierapparat oder der
Wimperntusche und dem Make-up zu greifen?  Dann der Blick auf die Kleidung - die
Verkleidung. Es geht meist um die Außenwirkung.
Meist möchten wir ein anderer sein. So schlüpfen Priester in Tierhäute, tragen Masken um
imaginäre Kräfte  zu besiegen, zu beschwichtigen, oder dem Publikum etwas vor zu machen.
Die Reste dieser Mentalität drückt sich in Amtsroben, Uniformen, gestylter Kleidung aus
und wenn es eine nur widerwillig umgehängte Krawatte ist.
 - Wer sein Spiegelbild annimmt, der ist der Wahrheit näher, kann ehrlich sein und
gegebenenfalls innerlich an sich arbeiten.  Dazu kann das alltägliche Herzensgebet helfen.
Und das ist dann - für mich - wahrer Gottesdienst. Es ist das Gleiche, wo sich heute jemand
um Selbstverwirklichung müht, wenn es nicht gerade in Rechthaberei ausgleitet.
                                                                                                                                            
(H-E.S. 21.07.2011.)